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Was ist Kreativität?
Über Kreativität

In der Informatik kann kreatives Problemlösen durchaus als core skill bezeichnet werden: viele Probleme sind neu, oder sie wurden noch nie so betrachtet, wie das mit den Mitteln der Informatik möglich ist (vgl. Computational Thinking). Neue Berufsfelder wie Research Software Engineering kommen mit Fragestellungen in Berührung, die davor ohne Computer und damit grundlegend anders angegangen wurden. Die stetige Innovation in der Entwicklung von Technologien, Komponenten und Verfahren macht es notwendig, dass wir existierende Situationen ständig aus neuen Blickwinkeln betrachten.

Wir müssen also festhalten: Kreativ sein kann man nicht nur mit Buntstiften oder mit Musikinstrumenten; wir alle sind kreativ, aber wir nennen Kreativität oft nicht beim Namen, weil wir fürchten, damit unsere Fähigkeit zum logischen Denken zu schwächen. Blicken wir hinter die Kulissen, sehen wir aber, dass das Analytik und Logik ohne Kreativität nicht existieren kann.

Die bekannteste sung, also die mit den Scheitelpunkten des Linienzugs ausserhalb der neun Punkte, ist hier zu sehen.

An diesem Beispiel wird der Begriff des outside-the-box-thinking gut sichtbar: Die Idee, Scheitelpunkte des Linienzugs auch ausserhalb der durch die neun Punkte vorgegebenen Box liegen zu lassen, macht das an sich einfache tsel für uns recht schwierig. Es ist, als rden wir eine implizite Regel verletzen, die wir uns aber in unserem Denken selbst gesetzt haben.

Wir nnen wir das tsel jetzt als gelöst betrachten und den Zweck des Beispiels als erfüllt. Wir nnen aber auch noch weiter outside-the-box-thinking praktizieren und damit noch andere Lösungen finden, die implizite Regeln verletzen, die nicht ausgesprochen wurden!

Die Tatsache, dass die Punkte im tsel keine Punkte im mathematischen Sinn sind, sondern eigentlich kleine Kreisscheiben, ermöglicht eine weitere sung. Dafür ist es notwendig, die gemeinte Bedeutung der Rätselbeschreibung zu ignorieren, also mit der impliziten Annahme zu brechen, dass es neun mathematische Punkte sind. Wir verlassen als eine weitere gedankliche Box, die konsensuell angenommen wurde. Jetzt nnen wir die neun Punkte mit nur drei Liniensegmenten zu verbinden:

Die entscheidende Frage ist jedoch: was ist die Box, ausserhalb der wir denken rden? Der Artikel nimmt die Box als die notwendigen Constraints an wie Geld, Zeit, Gesetze, etc. Im Beispiel mit den 9 Punkten oben musste aber eine ganz andere Box geknackt werden. Mit der Frage nach der Box werden wir uns wohl noch beschäftigen ssen.

Zuvor aber ein paar typische Fehlannahmen zu Kreativität.

Fehlannahmen zu Kreativität
Mythos 1: linke und rechte Gehirnhälfte

Wir wissen, dass unser Gehirn aus zwei Hälften besteht, die durch einen massiven Nervenstrang, den Corpus Callosum, verbunden sind. Seit vielen Jahren lt sich darauf aufbauend hartnäckig die Erzählung, dass die beiden Hälften unseres Gehirn für grundlegend unterschiedliche Aufgaben zuständig sind. So soll die rechte Gehirnhälfte für emotionale und kreative Prozesse zuständig sein, während die linke lfte analytische und rationale Gedanken denkt. Auf dieser Rollenteilung basiert der Glaube, Menschen tten eine dominante Gehirnhälfte: bei kreativeren Menschen re das die rechte Seite, bei analytischeren Menschen die linke.

Für diese Annahme gibt es aber bis heute keine Belege. Der amerikanische Neurowissenschafter Steven Novella fasst das so zusammen:

There is no significant basis in neuroscience for the hypothesis that people have hemisphere-dominant cognitive styles. This is just a popular made-up myth. I could only find one psychology researcher, Morton, supporting this notion in the published literature, calling the phenomenon hemisity.

Er bezieht sich dabei unter anderem auch auf eine Studie, bei der 2013 versucht wurde, mittels fMRI-Verfahren den Nachweis für eine Links- oder Rechtslastigkeit des Gehirns zu finden. Das Ergebnis dieser Studie ist recht eindeutig:

Yet our analyses suggest that an individual brain is not left-brained or right-brained as a global property […]

Mythos 2: der Geistesblitz

Ein weiterer Mythos erzählt, dass wir plötzliche Eingebungen haben, Geistesblitze, die aus dem Nichts kommen und uns eine Einsicht verschaffen, eine Idee geben oder etwas verstehen lassen. Das stimmt in gewisser Weise auch; was nicht stimmt, ist, dass der Geistesblitz aus dem Nichts kommt.

Was bei dieser Vorstellung des Geistesblitzes ausgelassen wird, ist, dass die Basis dafür durch Arbeit gelegt wird. Wir schaffen die Grundlage für solche plötzlichen Einsichten, in dem wir uns lange und viel mit etwas beschäftigen, also zulassen, dass unser Denken sich damit befasst.

Oft sind es gerade die unbewussten Bestandteile des Denkens, die sich weiter mit Problemen auseinandersetzen, während unsere Aufmerksamkeit schon ganz anderen Dingen gilt. In diesem Sinne ist uns die Arbeit, die wir in die Genese eines solchen Geistesblitzes stecken, manchmal gar nicht bewusst. Mehr noch: manchmal stört der Bestandteil des Denkens, den wir bewusstes Denken nennen, andere Bestandteile daran, diese Arbeit zu machen, ganz ähnlich wie beim Inner Game of Tennis beschrieben. Erst, wenn das bewusste Denken Platz macht, nnen die Ideen aus den anderen Bestandteilen des Denkens auftauchen.

So kann unser Modell des Denkens ganz gut erklären, warum wir manchmal genau dann Geistesblitze haben, wenn wir etwas ganz anderes machen, oder wenn wir den Kontext verlassen, in dem wir über ein Problem nachdenken. Vielleicht haben Sie das schon einmal erlebt: eine Gruppe arbeitet lange erfolglos an einem Problem, als ein Gruppenmitglied von der Toilette zurückkommt und aufgeregt einen neuen Ansatz präsentiert.

Offenbar spielen hier zwei Dinge zusammen: wir ssen uns darauf vorbereiten, und wir brauchen eine Art von Leerlauf, damit sich Kreativität entfalten kann. Damit wir in der Lage sind, mathematische Probleme zu sen, ssen wir uns lange und intensiv mit Mathematik auseinandergesetzt haben. Der kanadische Informatiker, Designer und Künstler Bill Buxton beschrieb 2006 in What if Leopold Didn’t Have a Piano? diesen Effekt am Beispiel von Wolfgang Amadeus Mozart. Mozart gilt als ein musikalisches und kreatives Geniewas zu einem guten Teil darauf zurückgeführt werden kann, dass er sein Leben lang darauf vorbereitet wurde.

Leider wird dieser arbeitsintensive Vorbereitungsaspekt von Kreativität aber beispielsweise in biographischen Filmen immer ausgelassen: Künstler_innen werden meist als begabte Genies dargestellt, die alles mit Leichtigkeit schaffen. Die notwendige harte Arbeit, damit die Begabung zur Grundlage für aussergewöhnliche Leistungen wird, wird dabei ausgelassen.

Der Mythos des ›Geistesblitz‹ aus dem Nichts entwickelt hier seine destruktive Seite: er lässt uns glauben, dass wir entweder einfach nicht begabt genug sind, um tolle Ideen zu haben, oder dass wir nur lange genug und geduldig warten müssen, bis uns endlich der Geistesblitz trifft. Beides ist falsch: der Geistesblitz ist der letzte und damit durchaus herbeiführbare Schritt einer langen und mitunter anstrengenden Arbeit.

Dasselbe sst sich auch anders darstellen: wenn wir uns als in eine Art von Zwiebelschalen von Kontexten eingebettet verstehen, dann ist die Schicht, die uns am schnellsten rückmeldet, ob eine Idee als kreativ gilt oder nicht, die unmittelbar nächste: die Gruppe von Menschen, in der wir gerade Arbeiten. Wenn ich eine Idee äussere, dann bin ich verletzlich, und zwar umso verletzlicher, je ungewöhnlicher diese Idee ist. Wenn jetzt dieses Umfeld mit dieser Rolle des first validators nicht gut umgeht, dann endet meine Bereitschaft, dort Ideen einzubringen, mich verletzlich zu machen.

Daraus folgt: schaffen sie ein Arbeitsumfeld, in dem Neugier geschätzt und honoriert wird. Lassen sie Fragen zu, die mit ›warum‹ und ›wie‹ beginnen. Schaffen sie Anreize für solche Fragen. *Curiosity breeds creativity.*

Creativity vs. Stress

Er endet in diesem Talk bei den drei Eckpfeilern von Motivation: Autonomy, Mastery und Purpose. Dass diese drei Elemente wesentlich für intrinsische Motivation ist, wissen wir schon lange.

Wie funktioniert Creative thinking?

Bemühen wir die üblichen Internet-Suchmaschinen mit Anfragen wie How to be creative oder Wie kann ich meine Kreativität trainieren, kommt üblicherweise sowas wie das hier heraus: Listen mit Maßnahmen, die uns dazu bringen sollen, kreativer sein zu nnen.

Die Liste ist gar nicht übel. Wenn man sich ein wenig mit der Forschung rund um Kreativität beschäftigt, dann stellt man fest, dass das eine recht brauchbare Aufstellung ist!

Die »Design Wall«

Solche Arbeitsplätze sind oft exzessiv mit Materialien, Anregungen, Assoziationen und Entwürfen gespickt.

Reflexion hatten wir aber auch schon mal, bei Design thinking, im Umfeld des Begriffs Inquiry: Design als eine Form der Untersuchung, Erkundigung, Erforschung. Genau das beschreibt aber das Diagramm oben in Wirklichkeit! Und hier findet sich auch der Begriff der Exploration als Exploratives Design zusammen mit Design as inquiry oder Doing for the sake of knowing

Das ist aber oft nicht einfach; will man wirklich weiterkommen, muss man die Zonen von Komfort und Kompetenz verlassen, und sich auf Erfahrungen einlassen, die neu sind. Lernen ist fast immer damit verbunden, dass unser Hirn lieber etwas anderes machen rde.

Ad »Erzeuge Freiräume«

Ein paar Strategien, um Freiräume zu erzeugen:

Stop the noise - rausgehen. Pause machen. Aufs Klo gehen. Kaffee machen. Handy weglegen und in die Luft schauen. Tatsächlich wird das an anderer Stelle beschriebene Missverständnis zum Geistesblitz davon mitverursacht, dass wir Geistesblitze oft dann haben, wenn wir uns NICHT mit der Sache beschäftigen. Wir haben sie, weil wir Freiräume erzeugt haben.

Hit the pub: siehe unten.

Minimize stress: da muss nicht mehr viel dazu gesagt werden.

Fragen stellen rfen: das an anderer Stelle beschriebene notwendige Vertrauen in die Gruppe. Wir rfen alle in Frage stellen, ohne als Ketzer/Verräter/Querulant zu gelten, solange wir die Frage respektvoll stellen.

Das Geschenk der Kreativität
Die »Denkschlucht«

Alan Kay verwendet die Metapher einer Schlucht, die von unserem Denken mit der Zeit in ein Thema hineingefräst werden. Irgendwann sitzt man am Boden eines Grand Canyon, definiert von der eigenen Erfahrung, von allem, was man gelernt hat, und dadurch auch von allem, was unsere jeweilige Kultur oder unsere Blase ausmacht, schlussendlich auch das, was das Menschseind ausmacht. Dort ist die Welt überschaubar, ihre Komplexität beherrschbar. Die meisten Probleme nnen gelöst werden, ohne dass diese Schlucht verlassen wird, weil die reduzierte Perspektive der Schlucht dafür mehr als ausreichend scheint.

Nehmen wir das gesellschaftspolitische Thema des Erwerbs von sinnerfassendem Lesen als Beispiel. Der Verlauf der Behandlung von solchen langfristigen Problemen schaut in unserer Denk-Schlucht oft so aus, dass es manchmal besser wird, und manchmal wieder schlechter. Wenn eine Studie zeigt, dass Kinder neuerdings eine Leseschwäche haben, dann werden Maßnahmen wie ngst die Bestellung von Lesebotschafterinnen und -botschaftern getroffen, um die Situation zu verbessern. Langfristig schaut das etwa so aus wie im hier dargestellt.

Wir freuen uns jedesmal, wenn unsere Maßnahmen Erfolg haben, und sind bestürzt, wenn es wieder schlechter wird.

Es gibt aber immer wieder Ideen, die die Situation grundlegend verändern. Wir nnen mit diesen Ideen sozusagen unsere Denk-Schlucht verlassen. Wenn so etwas passiert, dann sehen wir die Welt plötzlich aus einer komplett anderen Perspektive, wir sagen auch durch eine neue Brille. In der Geschichte der Menschheit nennen wir so etwas eine große Idee. Große Ideen hren auch immer wieder dazu, dass neue Denkweisen entstehen.

Beispiele für solche großen Ideen haben wir in den vorigen Kapiteln kennengelernt: die Einsicht, dass unsere Wahrnehmung und unser Denken es uns unmöglich machen, die Welt so zu sehen, wie sie ist hat zur Entwicklung des Wissenschaftlichen Denkens geführt; die Entwicklung des Computer hat uns Computational Thinking ermöglicht; die Idee, Dinge bewusst zu gestalten statt sie einfach weiter so zu machen wie bisher hat ins Design Thinking geführt.

Der Buchdruck kann als Beispiel für eine Technologie herhalten, die alles verändert hat: eigentlich nnen wir vor dem Buchdruck kaum von Büchern sprechen, weil ein wesentliches Merkmal dessen, was ein modernes Buch ausmachtSeitennummern, damit Inhaltsverzeichnis und Index und damit Referenzierbarkeit – erst mit dem Buchdruck entstehen konnte.

Wenn wir diese große Idee nicht haben, dann bleiben wir in unserer Denk-Schluchtwas ja für sich betrachte noch nichts schlechtes sein muss. Dort kann es durchaus gemütlich sein, die Probleme sind überschaubar, wir nnen inkrementelle Verbesserungen machen - grundlegend andere Sichtweisen verschließen sich damit aber.

Und so finden wir gegen Ende des Kapitels noch einen weiteren Aspekt der Box, ausserhalb derer wir denken wollen: unsere Denk-Schluchten, die durch unsere eigenen Erfahrungen entstehen und die unsere Erwartungen formen. Ich habe vorhin von der Machbarkeitszensur der Ingenieur:innen gesprochen – auch das ist so eine Denk-Schlucht.

Diese Denk-Schlucht ist auch unser größtes Hindernis dabei, wirklich innovativ zu sein. Lösungen zu finden, die ausserhalb unserer eingefahreren Wege liegen, ist Voraussetzung dafür, den oben angesprochenen Zyklus von Verbesserung und Verschlechterung zu verlassen und die blaue Linie nach oben zu finden. Wesentlich ist dafür aber auch, zu sehen, dass Innovation oft mit ganz neu verwechselt wird.

Der kanadische Informatiker, Designer und Künstler Bill Buxton fordert in einem inzwischen klassischen Artikel in Business Week 2008 Trennschärfe zwischen den Begriffen invention (Erfindung) und innovation (Innovation). Er beschreibt Innovation als das sichtbare Ende eines oft langenv Prozesses, der aus einzelnen Erfindungen besteht. Er nennt diesen Prozess long nose of innovation, in Anlehnung an Lee Flemings 2006 eingeführten Begriff des long tail of innovation:

My belief is there is a mirror-image of the long tail that is equally important to those wanting to understand the process of innovation. It states that the bulk of innovation behind the latest wow moment is also low-amplitude and takes place over a long periodbut well before the new idea has become generally known, fully refined, much less reached the tipping point where it becomes widely adopted. It is what I call The Long Nose of Innovation.

Das zentrale Paradoxon von Kreativität

Ich rde das als das zentrale Paradox von Kreativität bezeichnen: je mehr Erfahrung wir in einem Feld haben, umso mehr haben wir uns in diese Erfahrungen eingezäunt und umso schwieriger kann es sein, darüber hinauszugehen und etwas zu erdenken, was neu oder originell ist. Gleichzeitig ist Erfahrung aber das, was uns nützlich und brauchbar besser einschätzen sst.

Damit kann Kreativität in gewisser Weise auch als Produktive Überwindung der Erfahrung angesehen werdenund hier schließt sich noch ein Kreis, den Sie verstehen, wenn Sie sich den oben verlinkten Vortrag von Alan Kay ansehen: die Tatsache, dass wir lernen ssen, mit den entwicklungsmäßig früheren Stadien unseres Denkens (Doing!) in Kontakt zu bleiben.

Praxistipps & Werkzeuge

Was ist Kreativität? Teil


…und zum Abschluss
Literaturliste

Primärquellen

Weiterführende Literatur & Materialien
Weiterführende Literatur & Materialien